von Dr. Josef Straßer, aus dem Ausstellungskatalog: Hedwig Bollhagen und die HB-Werkstätten. Musterstücke und Serienobjekte
Hedwig Bollhagen (1907 – 2001) gehört zweifellos zu den bedeutendsten deutschen Keramikerinnen des 20. Jahrhunderts, gerade, was den Bereich der seriell produzierten Keramik betrifft. Sie gehört aber auch zu einer Generation, die die künstle rische Produktion – zumindest im Bereich der angewandten Künste – maßgeblich beeinflusst, wenn nicht sogar geprägt hat; eine Generation, in der Frauen im Bereich der Keramik eine neue Position einnehmen sollten. Man könnte fast m einen, das keramische Schaffen der Weimarer Republik sei Frauensache gewesen. Jedenfalls sind in den letzten Jahren immer mehr Gestalterinnen in den Fokus geraten, u. a. Elisabeth Dörr (1896 –1993), Gerda Conitz (Konitz) (1901–1982), Ursula Fesca (1900 –1975), Ilse Fehling (1896 –1982), Luise Harkort (1886 –1966), Charlotte Hartmann (1898 –1982), Margarete Heymann(-Loebenstein) (1899 –1990), Trude Petri (1906 –1998), Eva (Stricker)-Zeisel (1906 – 2011), Marguerite Friedlaender ( 1896 –1985). In wirtschaftlich führenden Stellungen oder gar als Unternehmerinnen gab es jedoch kaum Frauen, abgesehen von wenigen Ausnahmen wie Hedwig Bollhagen oder Margarete Heymann-Loebenstein.
Im August 1927, nach fünf Semestern in Höhr, stellte Hermann Harkort, Direktor und Besitzer der Steingutfabriken Velten-Vordamm, die damals erst 19-jährige Hedwig Bollhagen als Leiterin der Malabteilung und Entwerferin für das Veltener Werk der Steingutfabriken ein. Man fragt sich unwillkürlich, was Harkort dazu bewogen haben könnte, der unerfahrenen Fachschulabsolventin die Leitung der Malabteilung mit rund 100 Malerinnen, damals „Malmädchen“ genannt, anzuvertrauen. Erkannte er auf den ersten Blick ihre außergewöhnliche Begabung, ihr großes künstlerisches Potenzial? Wie dem auch sei, sicherlich wusste er, dass sie auf diesem Gebiet nicht ausgebildet, aber „auch nicht verbildet war“, wie sie selbst später schrieb.3
Die Steingutfabriken Velten-Vordamm gehörten nicht nur zu den größten und fortschrittlichsten Betrieben dieser Art in Deutschland, sondern sicherlich auch zu den künstlerisch am meisten aufgeschlossenen. Das zeigt sich auch daran, dass das Veltener Werk als eines der ersten Unternehmen zu einer Zusammenarbeit mit dem Staatlichen Bauhaus in Weimar bereit war. Deshalb verwundert es auch nicht, dass bereits 1924 Theodor Bogler von der Dornburger Bauhauswerkstatt nach Velten wechselte, später folgte ihm Werner Burri. Zuvor schon hatte der Bauhausmeister Gerhard Marcks Entwürfe für die Manufaktur geliefert. In ihrer Zeit in Velten konnte Bollhagen nicht nur mit einigen dieser Künstler Kontakte knüpfen, sondern auch ihre Technik und ihr eigenes Können vor allem auf dem Gebiet der Keramik- bzw. Dekormalerei erheblich verbessern. Zudem erledigte sie auch organisatorische Arbeiten und bekam so Einblick in den gesamten Ablauf der Herstellung bis hin zum Vertrieb. Als jedoch 1931 der Betrieb aufgrund der Weltwirtschaftskrise in Konkurs ging, musste sich die junge Keramikerin anderweitig umsehen.
Sie begab sich auf Wanderschaft, um weitere Erfahrungen zu sammeln: Im Sommer 1931 arbeitete sie mehrere Monate als Entwerferin bei der Staatlichen Majolikamanufaktur in Karlsruhe, anschließend als betriebstechnische Mitarbeiterin im Rosenthal-Zweigwerk Neustadt bei Coburg und schließlich als Malerin in der Töpferwerkstatt Wilhelm Kagels in Garmisch-Partenkirchen. Kagel hatte sie während ihrer Ausbildung in Höhr kennengelernt.
1932 ging Bollhagen nach Berlin, um für ein halbes Jahr als „Ladenmädchen“ in der von dem namhaften Architekten Bruno Paul und der Innendekorateurin Tilly Prill-Schloemann eingerichteten Verkaufsgalerie „Kunst und Handwerk“ ihr Geld zu verdienen. Zu den Kunden gehörten zwar interessante Persönlichkeiten wie Hans Poelzig oder Erich Mendelsohn, doch fehlte Bollhagen die schöpferische Tätigkeit als Keramikerin. Aus diesem Grund zog sie 1933 nach Frechen bei Köln, wo sie für ein halbes Jahr als Leiterin der Malabteilung, Entwerferin und Betriebsassistentin in der Keramikwerkstatt „Ooms“ der Steinzeugwerke Kalscheuer & Cie tätig war. Aber letztlich handelte es sich dabei nur um eine Notlösung, da sie sich e igentlich als Töpferin selbstständig machen wollte.
Die Gründung der HB-Werkstätten und die Zeit bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges
Von ihrer Freundin und ehemaligen Höhrer Mitschülerin Nora Herz erfuhr Hedwig Bollhagen, dass die „Haël-Werkstätten für künstlerische Keramik“ in Marwitz bei Velten zum Verkauf stünden. Die 1923 von der Bauhausschülerin Margarete Heymann und ihrem Mann Gustav Loebenstein gegründete Manufaktur – Heymanns Ehemann und Schwager kamen 1928 durch einen Autounfall ums Leben – beschäftigte in ihren florierenden Zeiten 60 bis 90 Mitarbeiter. Zu Beginn der 1930er-Jahre traf die Weltwirtschaftskrise die exportorientierten Gefäße von Walter Burri mit Formnummern, Haël-Werkstätten mit voller Wucht, aber nicht nur diese, sondern die gesamte Feinkeramikindustrie in Deutschland – die Steingutfabriken Velten-Vordamm gingen bereits 1931 in Konkurs. Im Mai/Juni 1933 musste auch der Betrieb von Margarete Heymann-Loebenstein stillgelegt werden.
Nach längeren Verhandlungen wurde im April 1934 der Kaufvertrag zwis chen Margarete Heymann-Loebenstein und Heinrich Schild abgeschlossen.4 Mit Schild fand Hedwig Bollhagen einen kaufmännisch erfahrenen Teilhaber und Geschäftsführer, mit dem sie das Wagnis eines eigenen Betriebes eingehen konnte – zudem war sie finanziell schlichtweg nicht in der Lage, das Ganze alleine zu stemmen.
Am 1. Mai 1934 nahmen die „HB-Werkstätten für Keramik“ mit Hedwig Bollhagen als künstlerischer Leiterin die Produktion auf. Heinrich Schild kümmerte sich um die juristischen und geschäftlichen Angelegenheiten. Unter den ehema ligen Drehern und Malern der benachbarten, wenige Jahre zuvor in Konkurs geg angenen Steingutfabriken Velten-Vordamm fand Bollhagen ihre ersten Mitarbeiter. Betriebsleiter wurde August Wojak, der bereits in Velten und bei den Haël-Werkstätten in dieser Position gearbeitet hatte.
Hedwig Bollhagen verzichtete bei der Namensgebung ihres neu geg rün det en Betriebs bewusst auf den Begriff „künstlerische Keramik“, der bei den Haël- Werkstätten Verwendung gefunden hatte, da sie den Begriff „Kunst“ für ihre G ebrauchskeramik als nicht passend ansah. Vom Vorgängerbetrieb Margarete Heymann-Loebensteins waren zwar noch einige Gipsformen vorhanden, doch übern ahm Bollhagen nur das weniger ausgefallene und zurückhaltender, aber auch funktionaler gestaltete Service Norma sowie eine Reihe schlichter Vasen und Schalen.5
Sie selbst machte sich sogleich an den Entwurf ihrer ersten Kaffee- und Teeservice, die sie mit ihren eigenen Dekoren versah. Wie grundlegend diese ersten Geschirrentwürfe waren, zeigt sich daran, dass einige davon bis heute produziert werden. Bereits ihre erste Präsentation auf der Leipziger Herbstmesse 1934 war von Erfolg gekrönt. Eine Goldmedaille gewann Hedwig Bollhagen 1937 mit ihrer zwei Jahre zuvor entworfenen kleinen Vase auf der Pariser Weltausstellung. Die Nachfrage nach ihren Produkten im In- und Ausland stieg ständig, der Betrieb florierte – und sie selbst legte nun die Gesellenprüfung (1937) und anschließend die Meisterprüfung (1938) ab.
Der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges führte zu zahlreichen Veränderungen. Die Exporte brachen drastisch ein. Die Zahl der Beschäftigten, die zuvor von Jahr zu Jahr stetig gestiegen war, reduzierte sich von 79 im Jahr 1939 auf 30 bis Kriegsende. Die Beschaffung von Brennmaterial wurde immer problematischer. D adurch sank auch die Produktionsmenge um die Hälfte. Wären nicht die Rüstungsaufträge gewesen – Keramikgehäuse für elektrische Brennöfen, Terrinen und g robes Ess geschirr etc. –, hätte Hedwig Bollhagen die Produktion wohl schon früher einstellen müssen. Dazu kam es schließlich im Frühjahr 1945 kurz vor dem Einmarsch der Roten Armee.
Die HB-Werkstätten zu DDR-Zeiten
Nach Beseitigung der Kriegsschäden und der durch die Rote Armee ver ur sachten Verwüstungen machte sich Hedwig Bollhagen, die die ganze Zeit in Marwitz verbracht hatte, an die Wiedereröffnung ihres Betriebes, die offiziell am 18. Juni 1945 erfolgte. Allerdings war Bollhagen nun auf sich allein gestellt. Heinrich Schild war mit seiner Familie in den Westen geflüchtet. Mit seinem Ausscheiden aus der OHG fungierten die HB-Werkstätten seit dem 16. April 1946 als GmbH.
Durch die Einführung der Planwirtschaft in der sowjetischen Besatzungszone veränderten sich die Rahmenbedingungen für die außerhalb des volkseigenen Sektors stehenden privaten Betriebe erheblich. Vor allem die Beschaffung der notwendigen Produktionsmittel bereitete nun Probleme, da der Fokus der keramischen Industrie bis 1947/48 auf der Kachelofen- und Ziegelherstellung lag, nicht jedoch auf der Gebrauchskeramik, die dadurch nur in geringem Maße gefördert wurde. Zudem gab es für die Privatbetriebe Produktions- und Preisauflagen sowie entsprechend kontingentierte Betriebsmittel. Dadurch wurde beispielsweise die Beschaffung von Ton aus den Westerwälder Tongruben erheblich erschwert. Die Mangelwirtschaft führte auch dazu, dass häufig die für bestimmte Glasuren notwenigen Grundstoffe fehlten. Bollhagen behalf sich beispielsweise dadurch, dass sie die – vorhandene – grüne Ofenglasur für ihre Gebrauchskeramik einsetzte und damit neue Dekore entwickelte.
Hedwig Bollhagen stieg in der DDR rasch zu einer der angesehensten Keramikerinnen auf und fand auch im Ausland große Anerkennung. Neben der Teilnahme an Ausstellungen in Düsseldorf und s’Hertogenbosch 1955/56 sowie an der Weltausstellung in Brüssel 1958 erhielt sie auch Preise, wie etwa 1957 die Goldmedaille auf der Internationalen Handwerksmesse in München (Bayerischer Staats preis) oder 1962 die Goldmedaille der Internationalen Keramikausstellung in Prag. Im gleichen Jahr eckte sie jedoch bei der DDR-Führung an. Auf der V. Deutschen Kunstausstellung in Dresden zeigte Hedwig Bollhagen ihr schwarz glasiertes Mokkaservice Form-Nr. 558, das sie im Jahr zuvor entworfen hatte. Walter Ulbricht kritisierte die industrielle Ästhetik sowie die mangelnde Farbigkeit ganz im Sinne der Jahre vorher aufgekommenen sogenannten Formalismus - deb atte, die sich gegen die funktional-ästhetische Produktgestaltung richtete und den Einfluss des Westens bzw. die „Amerikanisierung“ bekämpfen sollte. Neben Bollhagens Werken standen die weißen Porzellanzylinder von Hubert Petras, die geometrischen Stoffe von Sigrid Kölbel und die rauchfarbenen Glasentwürfe von Friedrich Bundtzen im Zentrum der staatlichen Empörung.
Noch heftiger wurde es für Hedwig Bollhagen 1972. Nun erfolgte die Umwandlung der letzten Privatbetriebe in volkseigene Betriebe (VEB). Die VEB Steingutfabrik Rheinsberg übernahm die HB-Werkstätten als „Werkstätten für Keramik Marwitz“. Die Übernahme stellte sich jedoch einschneidender als erwartet dar; denn am Tag der Übernahme vernichtete ein Großbrand die in der Rheinsb er ger Manufaktur vorhandenen Modelle. Da es dort zu dieser Zeit keinen einzigen Modelleur gab, mussten alle diesbezüglich in Marwitz vorhandenen Kapazitäten für Rheinsberg eingesetzt werden. Doch trotz aller damit verbundenen Schwierigkeiten gab Hedwig Bollhagen nicht auf. Sie gewann der Übernahme auch p ositive Seiten ab, da sie sich nun nicht mehr um die Gehälter der Mitarbeiter sorgen musste.
Noch schwieriger wurde die Situation, als der VEB Steingutfabrik Rheinsberg, der ursprünglich den kommunalen Behörden zugeordnet war, dem VVB (Vereinigung Volkseigener Betriebe) Feinkeramik unterstellt wurde. Nun ging die Entwicklung in Richtung „Betrieb für Stapelware“ und damit immer weiter weg vom künstlerischen Profil und Anspruch Bollhagens.
Insofern kann die 1976 erfolgte Übernahme durch den Staatlichen Kunsthandel der DDR in gewisser Weise als Rettung betrachtet werden. Zwar gingen dadurch die letzten Privatkunden verloren, aber immerhin konnte Hedwig Bollhagen ihr ursprüngliches Produktionsprogramm weiter verfolgen bzw. aufrechterhalten. Zudem ergaben sich durch die Zugehörigkeit zum Staatlichen Kunsthandel auch ungewohnte Perspektiven, da sie nun auf die Rentabilität ihrer Erzeugnisse kaum Rücksicht nehmen musste und deshalb umso intensiver ihre gestalterischen Freiräume ausschöpfen konnte.
1981 gab Hedwig Bollhagen im Alter von 74 Jahren auf eigenen Wunsch die Leitung der Werkstätten ab, verantwortete jedoch weiterhin den künstlerischen Bereich der Produktion. Entlastet von den betriebsorganisatorischen Aufgaben entwickelte sie auch in dieser Zeit noch neue Formen und Dekore.
Die Zeit nach der Wende bis zum Tod Hedwig Bollhagens
Mit der politischen Wende 1989/90 änderte sich einiges. Aus dem Staatlichen Kunsthandel, zu dem die Werkstätten gehörten, ging die Art Union GmbH hervor, die wiederum unter der Verwaltung der Staatlichen Treuhandanstalt stand. Als Teilbetrieb der Art Union GmbH produzierten die Werkstätten nach der Wende zwar weiter, doch stellte sich die Frage nach der Zukunft der Werkstätten, da die Treuhandanstalt auf eine Privatisierung drängte. Hedwig Bollhagen, damals über 80 Jahre alt, zögerte zunächst, einen Rückgabeantrag zu stellen. Erst am 17. Juni 1991 entschloss sie sich dazu. Zugleich suchte sie nach einem Partner, da sie das Unternehmen nicht allein übernehmen wollte. Am 30. Januar 1992 wurde sie als Restitutionsberechtigte eingestuft und damit die Ausgliederung aus der Art Union GmbH in die Wege geleitet.
Gleichzeitig meldete die Conference on Jewish Material Claims against Germany Rückgabeansprüche an, da man die Liquidation der Haël-Werks tätten als verfolgungsbedingte Zwangsmaßnahme ansah und den seinerzeit g ezahlten Verkaufspreis als erzwungenermaßen weit unter dem wirklichen Wert einstufte.6 Die Überprüfung dieser Ansprüche durch das Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen ergab jedoch ein anderes Bild. Allerdings waren damals ein Einspruch und ein sich möglicherweise über Jahre hinziehendes Verwaltungsgerichtsverfahren zu befürchten. Da dies das definitive Ende der HB-Werkstätten bedeutet hätte, ließ sich Bollhagen dazu überreden, einen entsprechenden Geldbetrag als Ausgleich zu zahlen. Auch wenn dies nicht als Anerkennung von Unredlichkeit eingestuft werden sollte, haderte sie Zeit ihres Lebens mit diesem Vorgehen.7
Doch damit waren die Werkstätten – nun „HB-Werkstätten für Keramik GmbH“ – zunächst einmal gerettet und ein Neuanfang mit Hedwig Bollhagen als wohl ältester Jungunternehmerin Deutschlands konnte in die Wege geleitet werden. Ihr zur Seite stand als Geschäftsführer und Teilhaber Wolfgang Scholz, der zuvor bei der KPM Berlin seine Erfahrungen gesammelt hatte. Stiller Teilhaber war bis 1994 Wolfgang Strehl. Bollhagens anfänglicher Elan wurde erst in den letzten Lebensjahren durch die Widrigkeiten des Alters und durch Krankheiten gedämpft. Nach ihrem Tod im Jahr 2001 begann sich das Karussell in Bezug auf ihr Unternehmen jedoch erneut von vorn zu drehen.
Immerhin wurde ihr schriftlicher und künstlerischer Nachlass durch die 2004 erfolgte Eintragung in die Denkmalschutzliste des Landes Brandenburg und die Aufnahme der 2005 errichteten Hedwig Bollhagen-Stiftung in die Deutsche Stiftung Denkmalpflege gesichert. Der keramische Nachlass wurde dem Förderverein Ofen- und Keramikmuseen Velten e. V. als Leihgabe übergeben und ist im eigens hierfür geschaffenen Hedwig Bollhagen Museum ausgestellt.
HB-Werkstätten heute
Nach verschiedenen Besitzerwechseln erwarben schließlich 2013 Lars Dittrich und Alexander Grella den traditionsreichen Betrieb, um das Erbe Hedwig Bollhagens zu retten und für die Zukunft zu erhalten. Die beiden wollen den Betrieb wirtschaftlich so aufstellen, dass die Idee der Gründerin weitergeführt werden kann. Dazu war und ist eine Menge an Maßnahmen notwendig. Unter anderem mussten die Produktion optimiert und der Ausschuss gesenkt werden, damit der Betrieb in Zukunft kostendeckend funktionieren kann. Durch zahlreiche kleinere Umbauten wurde Schritt für Schritt in diese Richtung unternommen. Beispielsweise wurden die Wege innerhalb der einzelnen Produktionsabschnitte verkürzt und sinnvoll neu geordnet, die alten Decken des historischen Werkstättengebäudes erhielten Abdeckungen, um zu vermeiden, dass Staub und Schmutz die glasierte, engobierte und zum Brennen fertige Rohware verschmutzt und so das Ergebnis beeinträchtigt. Obwohl diese Veränderungen nach wie vor im Gange sind, zeigen sich bereits die ersten positiven Ergebnisse.
Die Keramikerin Hedwig Bollhagen
In den rund 70 Jahren ihres Schaffens ist eine beeindruckende Zahl an Formen und Dekoren entstanden. Obwohl sich Bollhagens Werk zwischen Unikat und Serie bewegt, sie zudem Bau- und Gartenkeramik hergestellt hat, galt ihre Vorliebe doch der Keramik zum Gebrauch.
„Kunst? Ach Gott, manche nennen es so; ich mache Teller, Tassen und Kannen.“8 Dieses Zitat zeigt nicht nur ihre Bescheidenheit, sondern drückt zugleich ihr Selbstverständnis, ihre grundsätzliche Einstellung zur Keramik aus. Eine Einstellung, der sie über die Jahre treu geblieben ist und die schon 1934 bei der Gründung der HB-Werkstätten zu erkennen war; denn nicht umsonst nannte sie ihren Betrieb „HB-Werkstätten für Keramik“ und nicht „Werkstätten für künstlerische Keramik“, wie die Vorbesitzerin Margarete Heymann-Loebenstein.
Doch schon einige Jahre zuvor hatte sich Bollhagen als Mitarbeiterin der Steingutfabriken Velten-Vordamm mit dem Thema Seriengeschirr beschäftigt: „Es interessierte mich sehr, Gebrauchsgeschirr zu machen, das billig in den Handel kommen konnte und dadurch dem Käufer die Möglichkeit bot, von den wirklich sehr geschmacklosen, verlogenen Geschirren, die die Porzellan- und Steingutin dustrie auf den Markt brachte, abzurücken.“9
Ihre erfolgreiche Teilnahme an der Leipziger Herbstmesse, auf der sie 1934 erstmals ausstellte, beschrieb sie im Nachhinein mit den Worten: „Es war mein Bestreben, keine modischen Schlager, sondern einfache, zeitlose Dinge zu machen. Diese Bemühung fand insofern Bestätigung, als der größte Teil der damals herausgebrachten Modelle auch heute noch in der Fabrikation ist und in Ost- und Westdeutschland verkauft wird.“10
Während ihrer Ausbildungszeit, ihrer Tätigkeit bei den Steingutfabriken Velten- Vordamm und ihren Wanderjahren hat sie eine Menge an zeitgenössischen Bestrebungen in der Keramik kennengelernt und sich selbst auch in den verschiedenen Stilen und Techniken geübt. So beherrschte sie sowohl die strengen, aus geometrischen Grundelementen aufgebauten Formen, die den vom Bauhaus beeinflussten Zeitstil der 1920er-Jahre veranschaulichen, als auch die weich fließenden, auf die 1930er-Jahre verweisenden Formen. Ähnlich verhält es sich mit den geometrischen Dekoren aus Streifen, Bändern, Quadraten, Rechtecken, Dreiecken oder Kreisen.
Als Hedwig Bollhagen 1934 die HB-Werkstätten gründete, konnte sie also auf eine gewisse Erfahrung zurückgreifen. Sie wusste schon sehr genau, was ihr gefällt und was nicht. Das war zugleich die Voraussetzung dafür, dass es ihr g elang, innerhalb kürzester Zeit mehrere Geschirre zu entwerfen, die zu ihren grundlegendsten Entwürfen gehören und bis heute produziert werden.
Im Laufe der Jahre kamen immer wieder neue Formen hinzu. In den 1950er- und 1960er-Jahren werden die bis dahin überwiegend gerundeten Formen durch einschwingende oder zylindrische ergänzt. Jedoch nicht allein die Form ist für die Wirkung ausschlaggebend, sondern das Zusammenspiel mit dem Dekor. Auch wenn von Anfang an viele Geschirre sowohl in schlichtem Weiß als auch in unterschiedl ichen farbigen Dekoren angeboten wurden, prägen Letztere bis heute unser Bild von Bollhagen-Keramik.
Es ist ihre einzigartige Begabung, die jeweiligen Formen mit passenden Dekoren zu versehen und damit künstlerisch vollendete Gebrauchskeramik zu gestalten. Einzeln betrachtet sind weder die am Gebrauch orientierten Formen noch die zahlreichen Dekorentwürfe als avantgardistisch zu bezeichnen – Bollhagen selbst wollte auch nie zur künstlerischen Avantgarde gehören –, aber in ihrer Verschmelzung sind die daraus entstandenen Keramiken etwas Besonderes. Dazu trägt natürlich auch Bollhagens schier grenzenlose Fantasie bei, die es ihr erlaubte, ihre Formen und ihre Dekore über die Jahrzehnte immer wieder zu modifizieren, weiterzuentwickeln oder auch völlig neu zu schaffen.
Nicht zu vergessen ist aber auch ihre enorme Vielseitigkeit. Ist es vom Gebrauchsgeschirr zur Gartenkeramik nur ein kurzer Weg – Blumentöpfe sind auch nur Töpfe, wenngleich meist etwas größer –, so sieht es hinsichtlich der Baukeramik doch etwas anders aus. Nicht nur hinsichtlich der Maße und des Umfangs, sondern auch in der Zusammenarbeit mit anderen Künstlern.11 Waren es im Bereich der Gebrauchskeramik der Bauhausschüler Werner Burri, Charles Crodel oder später Heidi Manthey, um nur einige aufzuführen, so kamen zu diesen bei der Baukeramik weitere Künstler hinzu, etwa Waldemar Grzimek, Frauke Gerhard oder Rudolf Peschel.
Wenngleich die ersten Aufträge bereits unmittelbar nach der Gründung der HB-Werkstätten ausgeführt wurden, stieg erst nach dem Zweiten Weltkrieg die Beteiligung an Bauausstattungsprojekten deutlich an. Seit den 1950er-Jahren kam noch ein anderer Bereich hinzu, die Baudenkmalpflege, die zu einer der Lieblingsaufgaben von Hedwig Bollhagen werden sollte.
Hedwig Bollhagens Bedeutung ist jedoch nicht nur in ihrer Karriere als Keramikerin in den verschiedenen Bereichen zu sehen. Mit der traditionellen Keramik, mit der man in der Regel handgedrehte Gefäße und Objekte verbindet, hatte sie wenig zu tun. Selbst auf der Töpferscheibe gedreht hat sie kaum, obwohl sie natürlich auch diese Technik beherrschte. Auch sind die wenigsten in den HB-Werkstätten hergestellten Keramiken von Bollhagen selbst gefertigt worden. Sie hat die Entwürfe geliefert. Produziert wurde vor allem im Gießverfahren, wenngleich auch immer wieder Dreher im Betrieb beschäftigt waren bzw. sind. Die meist handgemalten Dekore trugen und tragen auch heute noch entsprechend ausgebildete Maler bzw. Malerinnen auf. Bei den Musterstücken dagegen war die Situation eher umgekehrt. Hier hat Hedwig Bollhagen häufig selbst Hand angelegt. Auch existieren unter den Zierkeramiken etliche Stücke, die sie selbst angefertigt und mit einer entsprechenden Kennzeichnung versehen hat.
Dass Hedwig Bollhagen zu den ganz wenigen Unternehmerinnen in der Geschichte des Manufakturwesens gehört, wird häufig übersehen. Das liegt nicht nur daran, dass Frauen an der Spitze von Unternehmen auch heute immer noch nicht selbstverständlich sind. Es liegt auch daran, dass ihr keramisches Werk letztlich alles andere überstrahlt und sie sich als Persönlichkeit nie in den Vordergrund gestellt hat. Ihr Schaffen wurde treffend als „Vollendung des Einfachen“ charakterisiert. Dafür, dass dieses äußerst bemerkenswerte Schaffen nicht nur in Erinnerung bleibt, sondern nach ihrem Tod so erfolgreich weitergeführt werden kann, stehen die heutigen HB-Werkstätten.
Siehe auch Lothar de Maizière, Der 9. November 1989 und seine Folgen. Die Reprivatisierung, in: Bollhagen 2008 (wie Anm. 1), S. 182–184.